Christentum in Japan
1. Historische Einführung und Forschungsschwerpunkte
2. Christentum in Japan
3. Religionsfreiheit von Christen
4. Japaner und Religion aus Sicht der christlichen Kirchen
5. Gemeindeleben in christlichen Gemeinden
6. Ökumene
7. Kultur
8. Fazit
9. Quellen
Historische Einführung und Forschungsschwerpunkte
1549 kam der katholische Jesuit Francisco de Xavier als Missionar nach Japan. Es war eine Zeit politischer Wirren, der Shintōismus hatte mit der Entwicklung des Landes nicht Schritt gehalten und die Botschaft Jesu fiel auf fruchtbaren Boden. Anfangs war es schwer für Xavier und seine Begleiter sich mit den Japanern zu verständigen, aber bald hatten sie zahlreiche Gebete, die Zehn Gebote und das Vaterunser ins Japanische übersetzt und konnten vor allem Japaner der gehobeneren Klassen, wie Samurai oder sogar buddhistische Mönche überzeugen zum Christentum überzutreten.
Die Missionare übermittelten aber auch die europäische Kultur und das zog Handel nach sich. Xavier selbst übermittelte auch europäische Wissenschaften. Aus Europa hatte er Bücher mitgebracht und wusste selbst sehr viel über die Wissenschaften, dass er den Japanern genaue Auskunft geben konnte. Die Priester brachten zu Audienzen mit den Daimyō seltene Geschenke mit. Die Daimyō in Kyūshū nahmen die neue Religion an, um den Handel zu beleben. Als Xavier nach zwei Jahren Japan verließ hatte er die Grundlage für spätere Missionsarbeiten gelegt und konnte den größten Missionserfolg in ganz Asien verzeichnen.
Man schätzt die Zahl der Christen 1582 auf etwa 150.000 in 200 Kirchen – das Werk von 75 Priestern.
Die Christenverfolgung ab 1596 brachte den Tod tausender Christen, Ausländer und Japaner, mit sich. Die Tokugawa-Behörden rotteten diese Religion mit rücksichtsloser Entschlossenheit aus.
1614 wurden alle Missionare ausgewiesen, 1624 die Beziehungen zu Spanien abgebrochen und bis 1625 hatten die meisten Christen ihrem Glauben abgeschworen oder waren tot. Vor allem in Nordkyūshū versteckten sich Christen im Untergrund, bis 1859 die ersten christlichen Missionare zurück ins Land kamen und anfingen Medizin- und Sprachunterricht zu erteilen. Missionsschulen wurden zu Universitäten und nach dem Zusammenbruch der Tokugawa-Herrschaft herrschte wieder weitestgehend Religionsfreiheit. Den Zulauf von damals aber hat das Christentum nie wieder bekommen.
In Japan gibt es derzeit weniger als 2 % Christen. 0,5 % sind Protestanten. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sich selbst in einer Megacity wie Tōkyō und dem angrenzenden Yokohama nur sehr wenige evangelische Kirchen finden lassen und ganz wenige evangelisch lutherische.
Ich wählte das Thema Christentum in Japan als Forschungsthema, weil ich selbst lutherisch-evangelisch getauft und konfirmiert und christlich erzogen worden bin und es mich interessiert, wie Christen in Japan ihren Glauben leben.
Sechs Fragestellungen waren mir dabei besonders wichtig:
- Leben Christen in Japan unter einer geringen Unterdrückung oder herrscht wirklich Glaubensfreiheit?
- Wie stark ist der Glauben der Christen in Japan?
- Wird er durch äußere Einflüsse in seiner Intensität beeinflusst?
- Lassen sich christliche Feiertage im japanischen Alltag finden?
- Stimmt es, dass sich viele, eigentlich shintōistisch oder buddhistisch gläubige, Japaner christlich trauen lassen wollen?
- Wie lässt sich die, doch recht europäische und vorderorientale, Kultur der Bibel mit den Grundlagen der japanischen Kultur verbinden?
- Wie sind diese doch offensichtlich unterschiedlichen kulturellen Grundlagen miteinander vereinbar?
- Wie verträgt sich das Christentum mit dem Shintōismus und dem Buddhismus in Japan – Ist es ein friedliches Nebeneinanderher oder ein freundliches Miteinander?
- Wie wird die Ökumene in Japan gelebt?
In meiner Zeit in Japan habe ich viele Nachforschungen zu diesen Themen getrieben und bin auf interessante Antworten gestoßen welche ich nun hier vorstellen möchte.
Christentum in Japan
In der Shōwa-Verfassung von 1946 wird in Artikel 20 die Religionsfreiheit zugesichert:
„Keine Religionsgemeinschaft darf vom Staat Sonderrechte erhalten oder irgendwelche politischen Befugnisse ausüben. Niemand darf zur Teilnahme an religiösen Handlungen, Festen, Riten oder Übungen gezwungen werden.“
Und in Artikel 14 heißt es:
„Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich; kein Bürger wird in politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Beziehung wegen seiner Rasse, seines Glaubens und seiner Anschauungen, seines Geschlechtes, seiner sozialen Stellung oder seiner Abstammung benachteiligt oder bevorzugt.“
Es sind natürlich Verbietungen von Religionen möglich, so geschehen vor etwa 10 Jahren, nachdem die buddhistische Sekte Ōmoshinrikyō in der Tōkyōter U-Bahn einen Giftgasanschlag verübt hatte. Die Sekte wurde verboten und, um solch einen ähnlichen Anschlag zu vermeiden, drehte man allen anderen Religionsgemeinschaften symbolisch den Geldhahn zu. Die Steuerprivilegien für religiöse Gruppen wurden stark vermindert, was letztendlich auch viele christlichen Gemeinden in große Geldnöte gestürzt hat. In Japan gibt es keine Kirchensteuer, wie beispielsweise in Deutschland. Kirchen finanzieren sich hier gänzlich durch private Spenden und Kollektengelder.
In Japan fand ich bei Befragungen heraus: Unter den Japanern wird das Christentum oft als extrem strenge Religion angesehen – und auch als extrem linksgerichtet. Die Religionsfreiheit ist durch die Verfassung zugesichert, aber im Parlament findet man kaum Christen, weil Christen nicht gewählt werden. So ist zwar die Freiheit der Wahl des Glaubens durch die Verfassung zugesichert, aber man hat dadurch nicht automatisch die Akzeptanz der breiten Bevölkerung. Christen werden auch nicht direkt im Alltag gemieden, aber eben auch nicht ins Parlament gewählt.
Religionsfreiheit von Christen
Unter diesen Gesichtspunkten fragte ich bei einigen evangelischen und auch katholischen Pfarrern nach: Wie verhält es sich denn nun wirklich mit der Religionsfreiheit?
Pfarrerin Elisabeth Hübler-Umemoto aus der Kreuzkirche in Gotanda, Yokohama erklärte mir:
„Es gibt Religionsfreiheit, aber alle Christen fallen aus dem altem Sozialsystem (shōnaikai) raus. Das Einzugsgebiet von Tempeln oder Schreinen ist eingeteilt nach Häuserblocks und wird vom Rathaus aus verteilt. Über diese Blocks herrscht vom Tempel/Schrein ausgehend Selbstverwaltung; die Gläubigen sind zuständig für ihr Viertel, halten die Grünanlagen sauber und organisieren jahrezeitliche Feste. Als Japaner ist man voll in dieses System integriert. Als Christ hat man es daher schwer seinen Glauben zu leben. Vor allem am Sonntag frei zu bekommen, um zum Gottesdienst zu gehen ist oft aus Firmengründen nicht möglich. Es gibt fundamentalistische Christen, die sich dagegen wehren, sie sind aber bei den liberalen Christen nicht sehr beliebt. In Japan herrscht die Religion des Clans, der alteingesessenen Familien. Wer Christ wird fällt aus den Familiensystemen und traditionell fahren auch japanische Christen zu Shintōfesten nach Hause. Prinzipiell ist es aber so: Wer mit dem Shintō zufrieden ist braucht kein Christentum. Christentum bedeutet Barmherzigkeit und gegenseitige Hilfe, im Buddhismus hat jeder sein Karma und muss damit klarkommen.“
Der Priester der katholischen Kirche Ishigawachō sagte: „Das Ausführen der Religion ist frei, im Grunde genommen ist es frei. Hier in der Großstadt freilich ist die Situation anders als in ländlichen Gebieten. Wenn eine Christin beispielsweise einen Bauernsohn heiratet, praktiziert diese Familie Shintō und dasselbe wird von ihr erwartet.“
Pastor Ken Saito aus der Union Church in Ishigawachō meinte:
„Die Glaubensfreiheit ist durch die Verfassung geschützt. Aber es herrscht eine gewisse Gleichgültigkeit: Schöne Religion, aber was hat das mit mir zu tun? Sie glauben es sei ein Brauch und keine Glaubensrichtung. Es ist schwer Christ zu werden, weil man sich damit von den japanischen Bräuchen entfernt. Das Begräbnissystem orientiert sich an buddhistischen Tempeln und nach Familien, jede Familie hat ihren eigenen Friedhofsplatz neben dem buddhistischen Tempel, wird einer aus der Familie Christ gibt es ein Problem. Wir haben hier in der Nähe ein eigenes Friedhofsgelände um dieser Problematik vorzubeugen.“
Auch Masako Mochida, die Organistin in der Kreuzkirche, deren Großmutter schon Christin war, meint: „Meine Tochter hat einen jungen Mann geheiratet, der kein Christ ist, wir haben schon oft versucht ihm den Weg Gottes zu erklären, wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass er ihn finden wird.“
Japaner und Religion aus Sicht der christlichen Kirchen
Generell gibt es nur wenige Japaner, die Christen sind, wenn, dann sind es die Ehepartner von ausländischen Christen. Meist gibt es pro Gemeinde etwa 20-30 % Japaner.
Pastor Ken Saito erklärte mir, wie er und viele andere Christen über das Verständnis von Religion bei den meisten Japanern denken: „Für Japaner ist Religion eine Kombination aus Religionen. Am Anfang gab es den Shintō. Der Shintō kannte kein Leben nach dem Tod, es war das hier und jetzt wichtig. Im Shintō gab es kaum Doktrinen. Dann kam der Buddhismus, der den Menschen die Idee vom Leben nach dem Tod nahe brachte und zahlreiche Doktrinen. Japaner verstehen Tod und Leben unterschiedlich. Für jedes gibt es auch eine eigene Religion. Damals versuchte die Regierung beides zu vermischen. Heute sieht man Shintō als Tradition an und der Buddhismus ist für das Paradies, das Leben nach dem Tod, zwei Bräuche werden gemixt. Deshalb gibt es Friedhöfe auch nur bei den buddhistischen Tempeln. Kein Japaner ist nur Shintōist oder nur Buddhist, es ist immer eine Mischung aus beidem, deshalb verstehen viele Japaner nicht, dass wir Christen nur eine Religion haben, nur einen Gott anbeten.“
Viele Japaner, die eigentlich buddhistischen oder shintōistischen Glaubens sind wollen ja christlich heiraten, sprach ich ein neues Thema an. Ist es nicht problematisch aus Sicht der Kirchen ein Paar zu trauen, wo keiner christlich getauft ist? In Deutschland gibt es ja dementsprechende Verordnungen. Pastor Ken Saito sagte dazu: „Viele haben nur den Traum von einer weißen Hochzei, wie sie es aus Filmen kennen. Für sie ist das Christentum nur ein weiterer Teil der Religionsmixtur, sie verstehen die Hintergründe nicht. In Deutschland und Amerika gibt es Verordnungen, die Heiraten von nicht getauften Menschen in Kirchen untersagen, wir haben uns aber dafür entschieden. Wir haben etwa 10 Hochzeiten pro Jahr. Viele davon sind Japaner, die nicht viel vom christlichen Glauben wissen. Bevor ein Paar bei uns getraut wird, gibt es mindestens drei Gesprächssitzungen, in denen wir den Gottesdienstablauf erklären und unseren Glauben und die Hintergründe erklären. Das verstehen wir als Pre-Evangelisation. Meist ist ja einer der Ehegatten schon getauft. Einige von den Paaren kommen auch zurück zu Weihnachten oder zeigen uns dann die Kinder, nur sehr wenige treten dann in die Kirche ein. Wir verlangen aber von keinem Paar, dass es dann regelmäßig zum Gottesdienst kommt. Doch meist kommen die Ehegatten, die schon Christ sind, dann alleine und der Ehepartner bleibt zu Hause.“
Genauso sah es auch der katholische Pfarrer in der direkten Nachbarschaft der Union Church: „Für das Verheiraten von Nicht-getauften haben wir eine spezielle Erlaubnis vom Vatikan. In Kursen lernen die Paare was katholischer Glauben ist. Einige werden danach Christen oder erst nach 20 Jahren Ehe, nachdem die Kinder groß sind.“
Wer die Gesprächssitzungen nicht möchte, für den gibt es eine ganze Industrie von falschen Kirchen mit falschen Pfarrern. Wer aussieht, wie ein Ausländer und blaue Augen hat und in Japan keinen Job findet, kann immer noch einer von tausenden Pfarrern der Heiratsindustrie werden. Das Business boomt.
Auch meine Umfragen im Bereich von Studenten der Keio und anderen Universitäten haben ergeben, dass die Tendenz zur „weißen Heirat“ steigend ist, auch im Bereich von Jugendlichen, die Atheisten sind.
Und noch etwas fand ich heraus: Japaner feiern unglaublich gerne Weihnachten. Doch kaum ein Japaner kennt die Geschichte, die dahinter steckt. Atheistische Japaner allerdings machen hierbei eine Ausnahme. Viele von ihnen kennen die Geschichte vom Christkind besser, als mancher gläubige Japaner.
Ich befragte dazu Pastor Ken Saito. Er sagte: „Die Weihnachtsgeschichte kennen wenige. Weihnachten ist in Japan verbunden mit dem Weihnachtsmann und ist vor allem ein stark kommerzialisiertes Fest. Weihnachten bedeutet für die meisten Japaner: Party, Kuchen, Datenight, Weihnachtsmann und Geschenke.“
Auf meinen Nachforschungen befragte ich auch einige Studenten, welche christlichen Feste sie noch kennen, ob Ostern oder Pfingsten gefeiert wird. Das Ergebnis war, dass die meisten zwar mit den Worten Ostern oder Pfingsten etwas anzufangen wussten, denen zumindestens klar war, dass es sich dabei um christliche Feste handelte, kaum einer aber wusste, um was es im speziellen geht. Ostern ist ein Fest, was sich in Japan kaum durchgesetzt hat. Dort ist die Kommerzialisierung dieses Festes erst in der Anfangsphase, nur in der Germanistik veranstaltete man einmal vor ein, zwei Jahren eine Eiersuche. Und genau das ist es, was die Gesellschaft Japans in einigen Jahren von Ostern kennen wird: Die Suche nach Ostereiern.
Pastor Saito sagte dazu: „Sie picken sich aus den Religionen das heraus, was ihnen am Besten gefällt.“
Gemeindeleben in christlichen Gemeinden
Eine meiner Fragen war, wie Japaner ihren Glauben leben, wie sich das Gemeindeleben abspielt und ob die Intensität des Glaubens durch äußere Einflüsse irgendwie verändert wurde. Die Gemeinde umfasst 80 Familien, darunter 60 % Kurzzeitfamilien. Die Kirche hat vor allem Zulauf von Mitarbeitern großer deutscher Konzerne in der näheren Gegend, wie z. B. Bosch, Siemens oder TÜV-Rheinland. Das Leben dieser Familien spielt sich fast ausschließlich zwischen Firma bzw. deutscher Schule und der Familie bzw. befreundeten Familien ab.
„Wir haben uns hier zu einer Parallelgesellschaft entwickelt“, erklärt mir Pfarrerin Hübler-Umenoto. „Wenn eine Familie neu nach Japan kommt, besuchen sie meist die Starhilfegruppe, die von der Schule angeboten wird, sie bekommen eine Patenfamilie zugeteilt und lernen so in 6 Wochen, was für sie wichtig ist. Wo die Post ist, welche Formulare sie ausfüllen müssen, wo man die Kirche findet. Man verkehrt in den eigenen Kreisen, auch wenn man nach draußen geht ist man unter Deutschen, oder man geht dorthin, wo die Leute englisch sprechen. Die Kinder solcher Familien sind sogenannte 3rd-culture-Kinder. Der Kontakt in die japanische Gesellschaft ist schwer, wenn die Familien länger bleiben, heiraten diese Kinder meist untereinander und bilden eine spezielle Gruppe. Der Glauben wird durch diese Gruppenzugehörigkeit in der Gemeinde nicht stärker. Man spricht nur ein ganz anderes Klientel an, als in Deutschland. Menschen, die in Deutschland nie den Weg zur Kirche finden würden, Männer in den 30ern oder 40ern oder Familien mit Kindern.“
Die Gründe, dass trotzdem so wenige Menschen die Kirche besuchen und die Missionierung nicht wirklich vorankommt, sieht sie woanders: „Das große Problem den meisten Kirchen sind die langweiligen Gottesdienste, Christentum ist eine Worttheologie. Die Kirche dümpelt vor sich hin und hat große Nachwuchsprobleme. Pfarrer bekommen keine festen Gehälter. Um genug zu verdienen arbeiten Pfarrer meist gleichzeitig noch an der Uni, dadurch können sie sich aber nicht um ihre Gemeinde kümmern. Die Entfernungen hier sind auch sehr groß, oftmals läuft Gemeindebetreuung ausschließlich über das Internet ab. Selbst die Senioren hier sind sehr fit mit der Technik.“
Der Pfarrer der Union Church aus Ishigawa-chō wusste folgendes über das Gemeindeleben zu berichten: „0,5 % der Japaner sind Protestanten, aber unter den Protestanten gibt es noch viele Determinationen. Wir sind hier eine Unierte Kirche mit Gläubigen aus allen Richtungen und sind offen für alle, auch Katholiken. Hauptsächlich kommen aber Ausländer, unsere Gottesdienste sind ja auf Englisch, wir sind also offen für alle, die englisch sprechen und verstehen, das birgt natürlich ein vielfältiges Gemeindeleben. Wir haben hier Amerikaner, Engländer, Kanadier, Christen aus Singapur, Malaysia, Korea, China und natürlich Japan. Die Japaner machen etwa 30% aus, meist sind es die Ehegatten von Ausländern. In den Gottesdienst kommen im Schnitt 60 bis 70 Menschen.“
Auf die Frage, inwieweit die Situation in Japan die Intensität des Glaubens beeinflusse, erzählte er mir Folgendes: „Viele Christen wurden vor dem 2. Weltkrieg unterdrückt und verfolgt durch die Regierung. Sie versuchten nur zu überleben, der Glauben wurde nicht stärker, man kümmerte sich hauptsächlich ums Überleben. Die Militärregierung versuchte den Kaiser als einen Gott emporzuheben. Sie hatten zwar verstanden, dass das Christentum sich spaltete in evangelische und katholische Christen, aber sie verstanden nicht die Untergruppen der Protestanten. Sie zwangen die anglikanische Kirche sich zwischen Protestanten und Katholiken zu entscheiden. Sie hat sich daraufhin gespalten und ging in den Untergrund. Die Protestanten waren die ersten, die angefangen haben die Kirche zu schützen gegen die Übergriffe und Verordnungen der Militärregierung. Sie wollten sich nicht unterdrücken lassen. Die Regierung entwarf drei Artikel. Die Kirche sollte eine neue Doktrin entwerfen, die Jesus raushält und an seine Stelle den Kaiser setzt. Die protestantischen Pfarrer in Japan sprachen miteinander, wollten sich nicht unterdrücken lassen, diese Doktrin hätte das Ende der protestantischen Kirche in Japan bedeutet. Zwei Wochen später war der Krieg vorbei. Wir hatten Glück. Aber der Glauben wurde dadurch nicht stärker. Ich bewundere die Menschen im Osten Deutschlands, was sie unter der Herrschaft der DDR-Bonzen für den Glauben an Gott getan haben. In Deutschland kann man gut die Bibel studieren, weil dies von der Regierung unterstützt wird, in Japan wäre das bis heute undenkbar.
Ökumene
Grundsätzlich ist Ökumene zwischen Kirchen in Japan schwierig. Das begründet sich vor allem durch die großen räumlichen Distanzen, die es zu überbrücken gilt. Aber auch glaubenstechnische Distanzen sind nicht selten.
„Wir arbeiten zwar mit der katholischen Gemeinde hier in der Nähe eng zusammen aber haben sonst kaum Kontakte mit anderen evangelischen Gemeinden in Tōkyō“, erklärte Pfarrerin Elisabeth Hübler-Umemoto. „Theoretisch gibt es den Kontakt, allerdings nur über die jährlich stattfindende Pfarrerkonferenz. Mit shintōistischen oder buddhistischen Gemeinden machen wir gar nichts gemeinsam. Man bekommt manchmal Einladungen zu Festen in den Briefkasten geschmissen. Letztes Jahr waren wir zu einem Kurs im Zen-Tempel für Ausländer, dass war sehr interessant. Aber einfach ist Ökumene hier nicht. Der Priester des Shintō-Tempels hier war immerhin bis vor kurzem lange Zeit der Bürgermeister der Region.“
Der Priester der katholischen Gemeinde in Ishigawa-chō sprach darüber, dass Ökumene mit Protestanten häufig durch Gottesdienstprojekte umgesetzt wird. „Das Wichtigste ist für uns aber zusammen den Obdachlosen hier in der Gegend zu helfen. Vor 50, 60 Jahren gab es eine große Anziehung zum westlichen Weg und der europäischen Kultur, in der Zeit kamen viele Priester aus Europa, Afrika und Asien nach Japan. Wir haben daher einen großen internationalen Austausch, also internationale Ökumene, letztes Jahr haben wir mit brasilianischen Katholiken ein Weihnachtsmusical aufgeführt. Die Musik als Weg der Evangelisation ist sehr attraktiv. Wir haben auch einen sehr intensiven Dialog mit Buddhisten und Shintōisten, dem Islam, dem Hinduismus und anderen Religionen, häufig in Diskussionsrunden.“
Der Pastor der Union Church dagegen meinte: „Ja, es gab mal ein gemeinsames Weihnachtsprojekt mit dem Chor der katholischen Gemeinde, aber schon nach kurzer Zeit sagten sie, das ist nicht unsere Tradition und gingen wieder. Jeder hat hier seine eigene Agenda. Sie sind weit weg von Rom. Hier existiert eine Art zweiter Vatikan. Jede Kirche macht ihr eigenes Ding, es gibt keine einheitliche Linie, wie in Europa. In unserer Kirche heißen wir alle willkommen, wir sind interdeterminational. Die amerikanischen Baptisten hier in der Nähe sind liberaler, mit ihnen machen wir viel. Ansonsten kommen Methodisten, Presbyterianer, Lutheraner, auch Katholiken zu uns in den Gottesdienst. In Tōkyō gibt es ja ökumenischen Rat der Christen zusammen mit Katholiken und Baptisten, nun ist eine Gruppe von Buddhisten dazugekommen, die macht es etwas schwieriger.“
Kultur
Als letzten Punkt erkundigte ich mich darüber, wie es die Kirchen schaffen die christliche Kultur mit der japanischen traditionellen Kultur zu verbinden, oder anders, wie man es schafft die europäische bzw. vorderasiatische Kultur der Bibel zu vermitteln. Darüber erhielt ich sehr verschiedene Antworten. Pfarrerin Hübler-Umemoto meinte: „Das Christentum passt sich der Kultur an, die Gedanken sind universell. Es geht schließlich vordergründig um Barmherzigkeit, Nächstenliebe und gegenseitige Hilfe.“
Der Priester der Katholischen Kirche war der Meinung, dass die fremdartige Kultur selbst gerade das ist, was Japaner zu den Kirchen zieht.
Pastor Ken Saito dagegen sagte: „Das ist ein Missverständnis. Das alte Testament ist asiatisch und nicht europäisch. Das Alte Testament lässt sich mit asiatischer Mentalität viel besser verstehen, trotzdem sehen viele Japaner das Christentum als eine amerikanische oder europäische Kultur. Der große Unterschied dabei ist, dass der christliche Glaube kein Brauch ist und damit auch nicht von der Kultur abhängig ist.
Unter den japanischen Jugendlichen verschwinden die alten Bräuche langsam, weil es meist nur Traditionen sind und kein tiefer Glauben. Wenn die japanische Gesellschaft als solche überleben will, muss sie die Bräuche verlassen. Es dreht sich alles nur ums Arbeiten, Vater auf Arbeit, Mutter zu Hause. Wir haben eine Generation, die in einer vaterlosen Gesellschaft aufgewachsen ist, weil er nie zu Hause ist. Er steht früher auf, als die Kinder und kommt spät in der Nacht heim. Heiraten sind heute nur noch funktional, es gibt sehr wenig richtige Beziehungen, die auf Liebe basieren. Es gibt das neue Phänomen der mid life crisis bei Frauen, denn sobald die Kinder außer Haus sind, gibt es keine Beschäftigung mehr, die Beziehung zum Mann ist weg, der Mann sagt ade und die Frau steht alleine da. Das passiert immer öfters und ist ein in Großstädten weit verbreitetes Phänomen. Wir predigen deshalb nicht nur Gottes Gebote, sondern auch Jesus Gebote der Nächstenliebe, und der Liebe als Grund zum Heiraten.
Fazit
Abschließend kann ich sagen, dass in der japanischen breiten Öffentlichkeit keine Unterdrückung des Christentums existiert, sich aber auch keiner wirklich für diese andere Kultur in all ihren Facetten zu interessieren scheint. Essentielle Bestandteile des christlichen Glaubens, wie das Feiern von Weihnachten oder die „weiße Heirat“ werden bedenkenlos übernommen und in die eigene Kultur eingeflochten ohne die ethischen Hintergründe zu hinterfragen. Aber die Japaner sind skeptisch vor allem durch das große Unwissen. Christen, die ihren Glauben aktiv leben, haben es schwer in dem Sozialsystem der Gesellschaft. Auch fehlt das gemeinsame Interesse der Gemeinden sich untereinander zu organisieren und einen breiten Strom an Gemeinden zu bilden, statt überall nur kleine Inselchen. Das sind nur drei Gründe, warum ich glaube, dass die Christen in Japan in den nächsten Jahrzehnten wohl weiterhin eine Parallelgesellschaft bleiben werden.
Quellen
Das japanische Kaiserreich, John Whitney Hall, Fischer Taschenbuch Verlag, 14. Auflage 2006
Christen in Japan, Anneliese Vahl, Evangelische Verlagsanstalt Berlin, 1979